»Jetzt wächst zusammen was übrig ist«
Einige Gedanken zum Rest
Als ich meiner Aktion am Sonnabend, dem 29. August 2015 aus einem Bauchgefühl heraus diesen Titel gab, sagte meine Impressaria, das habe einen allzu negativen Beiklang – ich solle es ändern. Sie dachte an meinen Ausverkauf und dass nun nur noch der schäbige Rest ausgeboten wird, weil das Beste schon weg sei. Aber Verkauf ist nicht das Ziel der Aktion, sondern der Befreiungsschlag! Und da ich den Titel für passend hielt, muss ich für mich selbst klären, warum er passend ist.
Meine Figur „Allegorie des 25sten Jubiläums der breiteren Bundesrepublik“ hatte in ironischem Missbrauch des Satzes vom Zusammenwachsen des Zusammengehörigen den Titel meiner Aktion bekommen oder anders herum, ich übertrug den Titel der Figur auf die Aktion. Die Ironie bestand darin, dass aus den „wertlosen“ Abfällen des Restaurierens meiner Bugholzmöbel etwas Unschönes irgendwie ohne Plan zusammengeleimt ist, was dem politischen Vorgang der letzten 25 Jahre wohl gut genug entspricht, um bei jedem, der den Namen der Figur hört, sofortige Heiterkeit auszulösen. Was es da zu sehen gab, war nichts Gewachsenes!
Eine tiefere Bedeutungsebene liegt darin, dass die Methode meines Machens gerade das Zusammenbringen von übrig gebliebenen Bauteilen zu neuen, wirklich gewachsenen und damit anmutig und inspiriert aussehenden Gegenständen ist. Der Rest, der abfiel, wurde wertvolles und gebrauchtes Material. Rückblickend erkenne ich heute, dass ich schon immer so gehandelt habe, weil der Rest mich dauerte und die Verschwendung mich schaudern ließ. Das ist vielleicht eine Jahrgangsfrage in meinem „coming of age“.
Der nächste Gedanke führt auf die Ebene des menschlichen Verhaltens überhaupt. Resteverwertung war schon immer eine Methode, den Mangel in Reichtum zu verwandeln. Flickenteppiche, Eintöpfe, Kachelmosaike, Quilts, Knochenflöten, Favelas, Patchwork und wohl unendlich viel mehr Beispiele lassen mich in guter Gesellschaft sein. Die Achtung der in Resten noch steckenden Möglichkeiten führte zu Resultaten, die in Kunst, Mode, Kulinarik und vielen anderen Gebieten zu den Besten gehören. Auch Thonet betrieb Resteverwertung, indem er für beim Biegen beschädigte Bauteile Möbel entwarf, die den brauchbaren Teil benutzten.
Readymades als Entwurfsmethode enthalten den von mir an anderer Stelle breiter ausgeführten Gedanken, dass jeder vom Menschen gemachte Gegenstand zu mehr und anderem zu gebrauchen ist, als wofür er zuerst gedacht war – ich nannte es in Ironisierung der geschwollenen Sprache von Architekturtheoretikern „die integrierte Flexibilität des Artefakts“. Ich benutzte das, indem ich Lebensmittelverpackungen zu bunten Postkarten schnitt und beim Trödler mitgenommene alte Familienfotos mit meinem Stempel auf der Rückseite zu Visitenkarten machte – was nebenbei gesagt nicht nur das Fotopapier, sondern auch den Zweck des Fotos – zu erinnern – wiederverwendete.
Die Aktion des 29. August soll nun das übrig Gebliebene zu einer großen Figur zusammenwachsen lassen, die dafür stehen wird, was ich in Begleitung meines Gewerbelebens immer schon als zweckfreie Betätigung – Kunst genannt – tat.
Das soll meine Gedanken beschließen, Anspruch auf Vollständigkeit erhebe ich nicht, jeder kann selbst weiterdenken.
Ulrich Fries
Danke an alle beteiligten Helfer
am Turmbau:
Bernadette Diemer
Nils Ahner
Masako Kaburagi
Heather Betts
Mareika Weber
Clemens Kowalski
der Dokumentation:
Clemens Kowalski
Nils Ahner
Heather Betts
Ekkehard Brunn
Mareika Weber
und der Pressearbeit:
Andrea Steiner
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